Marieke Smithuis over Zeezwijgen: wie is Nicol Ljubic?

Deze week was de Duitse schrijver Nicol Ljubic even in Amsterdam, als gast van het Goethe Institut en Uitgeverij Babel & Voss. Tijdens een geanimeerde avond over de vertaling van zijn laatste roman ‘Zeezwijgen’  werd hij in een prachtig Duits ingeleid door de Nederlandse critica en journaliste Marieke Smithuis. Wij drukken haar inleiding hieronder integraal af.

Wer ist Nicol Ljubic, und wo kommt er her? Viele wissen es bereits. Sie haben vielleicht Ljubic’ Buch gelesen, in dem er beschreibt, wie sein eigener Vater als junger Mann der Armut in Kroatien entfloh und wilde Abenteuer erlebte, bevor er sich schließlich in einem deutschen Reihenhaus niederließ. Oder sie haben  Ljubic’ feinsinnigen und mitunter auch witzige Bericht über seinen Eintritt in die SPD gelesen, der 2004 in der Zeit erschien. Der Titel lautete bezeichnenderweise “Als ich Rot wurde”. Ljubic hat hierfür den Theodor-Wolff-Preis erhalten.
Neben seiner journalistischen Arbeit erregten auch Ljubic Bücher Aufmerksamkeit: 2002 erschien der Roman Mathildas Himmel und 2004 das passende Werk zum bereits erwähnten Artikel in der Zeit: Genosse NachwuchsWie ich die Welt verandern wollte. Aber obwohl viele Menschen also schon wissen, wer Nicol Ljubic ist, gibt es natürlich immer noch Welche, hier und in Deutschland, die es nicht wissen … Und die könnten sich fragen, woher dieser exotische Name kommt, denn so “richtig” Deutsch hört er sich ja irgendwie nicht an. Oder?
Nach öffentlichen Lesungen, so hat Nicol Ljubic einmal erzählt, kommen immer wieder Leute auf Ihn zu, die wissen wollen, wo er denn so gut Deutsch gelernt hat. Woraufhin er dann antwortet: “Ach, es war nicht so schwer. Ist ja meine Muttersprache”.

Nicol Ljubic wurde 1971 in Zagreb geboren, als Sohn einer deutschen Mutter und eines kroatischen Vaters. Seine Jugend verbrachte er in Schweden, Rußland und eben auch in Deutschland, wo er zur Schule ging und später dann Politikwissenschaften und Publizistik studierte. Seinem kroatischen Vater war es sehr wichtig, dass sein Sohn deutsch sprach und auch gute Noten nach Hause brachte. “Sonst”, sagte der Vater, “hast Du in Deutschland keine Chance.”
Wer aber oft von anderen als “anders” betrachtet wird, wird sich wahrscheinlich irgendwann fragen, was es eigentlich bedeutet, anders zu sein. Was macht jemanden zum Anderen? Seine persönliche Geschichte? Das Aussehen oder das Benehmen? Oder gibt es gar kein Anders-sein? Ist es nur eine Fiktion, von uns selbst – den wiederum Anderen – erfunden? Eine Vorstellung nur, die sich dennoch hartnäckig hält, mit mitunter furchtbaren Folgen. Jedem Krieg liegt auch ein Denken in Gegenüberstellungen und Abgrenzungen zugrunde. Dann heisst es: Wir gegen die Anderen. In Europa  hat die ethnisch begründete Form des Andersseins zuletzt zum Völkermord in Jugoslawien geführt. Das auseinanderfallende Jugoslawien der 90er Jahre bildet auch den historischen Hintergrund zu Nicol Ljubic’  Roman Meeresstille – einer im Übrigen hochkomplizierten Liebesgeschichte.
Robert, Ljubic’ Hauptperson und zugleich Erzähler seiner Geschichte, wünscht sich ein Zusammenleben mit Ana. Er ist sehr verliebt, also will er nichts anderes, als bei ihr zu sein und zu ihr zu gehören. Robert ist ein Deutscher, wenn auch sein Vater einst, aber lange her, aus Kroatien kam. Ana ist Serbin; sie kommt ursprünglich aus Visegard in Bosnien, wo sie mit ihrer Mutter und ihrem intellektuellen Vater lebte, bevor der Krieg begann. Ihr Vater war dort professor und ein anerkannter Shakespeare-kenner.
Hier in den Niederlanden glauben viele Leute schon ein bisschen zu wissen, was in diesem Krieg passiert ist. Wir haben gesehen, wie Mladic unserem Oberst Karremans zugeprostet hat (ja echt waar). Das sind Bilder, die wir nicht so schnell vergessen werden. Von Visegrad, der Stadt an der Drina, wo Ana herkommt, wissen wir aber meistens weniger oder auch eben nichts. Aber: auch dort wurden Muslime ermordet und vetrieben. In einigen Fällen wurden sie von Männern, die sich als Mitarbeiter des Roten Kreuzes ausgaben, in Hauser gelockt, die vorher praepariert wurden mit leicht entflammbarem Material, und die Familien, die hier “untergebracht” wurden, wurden bei lebendigem Leib verbrannt. Männer, Frauen, Kinder. Ihre Mörder standen draußen und hörten ihnen beim Schreien zu.
Zu Beginn von Meeresstille nimmt Robert in Den Haag an einer Sitzung des Internationalen Strafgerichtshofes teil. Anas Vater sitzt auf der Anklagebank. Ihm wird vorgeworfen, am Mord von 42 Muslimen die Mitschuld zu tragen. Er soll sie in ein Haus gelockt haben, das später in Flammen aufging. Ana, die ihren Vater immer angebetet hat, kann und will das nicht glauben. Sie weigert sich, ihn als Täter zu sehen, zieht eine Grenze zwischen ihren Realitäten und schafft damit eine Kluft, die das Kernthema von Meeresstille bildet. Robert liebt Ana  über alle Maßen, aber er möchte dennoch verhindern, dass seine Liebe ihn in moralischer Hinsicht korrumpiert.
In Meeresstille ist das “Anderssein” das stets wiederkehrende Thema. Die vermeintlichen oder tatsächlichen Unterschiede zwischen dem “Ich” und dem “Anderen”, dem Fremden und dem Vertrauten, zwischen Opfer und Täter, Krieg und Frieden werden sorgfältig und ewissenhaft durchleuchtet. Auffallend – und auch vielsagend – finde ich, dass er diesen Konfrontationsstoff in eine Liebesgeschichte verpackt hat. Es ist die Liebe, die Robert dazu treibt, Ana begreifen zu wollen. Wir können das vielleicht alle nachempfinden. Wer verliebt ist, will in dem Anderen aufgehen, oder nicht?  Aber ich frage Sie: Ist dieses Verlangen nicht letztlich nichts anderes als  ein Verlangen nach Selbstaufgabe?  Oder, wenn man die Frage anders stellt: nach Einheit? Wer verliebt ist, will alle Grenzen überwinden. Will rennen wie ein Hase im Feld.
Aber: Für Ana bleibt Robert “der Andere”, wie wir alle immer “die Anderen” sind, jeder von uns gefangen in seinem eigenen Leben. Wenn überhaupt, dann können wir höchstens wählen zwischen Zuschauer und Betroffenem.
In Meeresstille hat sich Nicol Ljubic ausdrücklich für Letzteres entschieden. Er ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein betroffener Autor. Er hat für uns, die Leser, einen Roman geschrieben, in dem er “das Andere” ganz nah heran”zoomt”, indem er das Fremde, das uns gleichzeitig anzieht und abstößt, lesbar und beinahe erlebbar macht.

Dies ist das große Verdienst von Nicol Ljubic in seinem zweitem Roman Meeresstille, woraus er Ihnen nun einige Passagen vorlesen wird.

Geef een reactie